I am great. I am Greta. Ersteres spricht Donald Trump. Zweites eine junge Dame, die sich im Oktober 2018 mit einem selbstgemalten Schild vor das Parlament in Stockholm setzte, um mit ihrem persönlichen Schulstreik als Umweltaktivistin den Klimawandel anzuprangern und die Regierungen, die globale Politik, aufzufordern, endlich die drohende Klimaerwärmung ernst zu nehmen und sicht- und spürbare Maßnahmen dagegen zu ergreifen, um die in Paris beschlossenen 1,5 Grad noch erreichen zu können. Greta Thunberg, die schwedische Umweltaktivistin, hat seit Oktober 2018 viel erlebt. Wir alle, die ganze Welt, haben seitdem viel mit und rund um Greta erlebt und irgendwie haben die Medien es wieder einmal geschafft, einen wirklich guten Impuls durch den medialen Overkill „kaputt zu berichten“. Die Otto Normalverbraucher fühlen sich mehr und mehr auf den Schlips getreten. Fühlen sich von der jungen Generation Fridays for Future genervt und bevormundet, obwohl sie doch eigentlich den ursprünglichen Impuls von Greta und ihren jungen Followern und die daraus resultierenden Freitagsdemonstrationen gut fanden und die Ernsthaftigkeit des Klimawandels erkannt hatten.
An einem Strang ziehen
Ich denke, hier muss einfach und sprichwörtlich die Kirche im Dorf gelassen werden. Denn eigentlich sollten wir nicht Tauziehen, sondern gemeinsam an einem Strang ziehen. Miteinander – nicht gegeneinander. Die kollektive Forderung von Greta und den jungen Umweltaktivisten ist sicher nicht, dass Lieschen Müller nicht mehr mit ihrem Mann und den drei Kindern einmal im Jahr nach Spanien oder Griechenland für zwei Wochen in Urlaub fliegen darf oder diese Familie nicht auch ein großes Auto fahren darf, da eben fünf Personen – plus Hund und Gepäck – ein großes Auto rechtfertigen. Und ja – auch eine Bratwurst, ein Salamibrot oder ein Filetsteak sind kein Verbrechen – nicht alle werden ab sofort vegan oder vegetarisch essen. An dieser Stelle ist die öffentliche Diskussion ganz klar völlig aus den Angeln geraten. Es geht doch nicht um dogmatischen Verzicht und die komplette Verdammung unserer Konsumgesellschaft, sondern um die richtige Richtung und das Bewusstsein, einen wichtigen Prozess, der an das Bewusstsein appelliert. Von 100 auf 0 – das erwartet Greta sicher nicht – denn dafür ist sie viel zu intelligent. Aber der Reihe nach. Jeder Mensch hat einen CO2-Fußabdruck. Auch sehr viele junge, bildungshungrige Menschen, die Generation Fridays for Future. Ob durch Work-and-Travel-Programme, durch Reisen mit den Eltern, die Lust, die Welt und andere Kulturen kennenzulernen, durch (zu viele) Textilien, Plastikprodukte und diverse mobile Endgeräte, die alles andere als umweltverträglich oder gar ethisch und sozial hergestellt wurden in der globalisierten Welt.
Klimakiller Zement
Heimliche Klimakiller gibt es viele. Bei der Herstellung des begehrten Baustoffes Zement entsteht mehr CO2 als durch den gesamten globalen Flugverkehr. Der Handel mit Zement ist ein internationales Geschäft. Der globale Bauboom schreitet voran, und so wächst auch in den Emerging Markets der Hunger nach Beton und dem Bindemittel Zement. Nicht nur für Naturlandschaften, sondern auch für das Klima ist Zement eine massive Bedrohung. Die Zementherstellung verursacht zwischen fünf und acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Dennoch wird die Branche von der EU mit kostenlosen Emissionszertifikaten unterstützt. Hier Alternativen zu suchen, ist eine Herausforderung. Weltweit wird daran geforscht, die Zementproduktion klimafreundlicher zu machen. Das sind Themen, die Ökoworld interessieren. Schwierig ist auch zu bewerten, ob ein Fernflug eines Wissenschaftlers auf die Galapagos-Inseln, um das Paarungsverhalten der Schildkröten weiter zu erforschen, gerechtfertigter ist als der Urlaubsflug einer Familie zwecks Erholung oder das Work-and-Travel-Programm eines Abiturienten oder Studenten. Wir müssen bitte aufhören, gegenseitig unsachlich mit den Fingern aufeinander zu zeigen. Jeden Brückentag nutzen, um mit den Billigfliegern für 2-3 Tage zehnmal mal im Jahr in die Sonne zu fliegen – hier sollte jedem klar sein, dass dies nicht gut für das Klima sein kann. Das darf kritisiert und in Frage gestellt werden. Hier müssen wir uns selber reduzieren und regulieren aus gesundem Menschenverstand. Aber es führt zu nichts und ganz bestimmt auch nicht zu dauerhafter sozialer Akzeptanz, wenn der Generation ab 40plus plötzlich vorgeworfen wird, sie hätte die Zukunft der „Generation Greta“ zerstört. Das ist unsachliches Gegeneinander und nicht gemeinsames Miteinander. Da bin ich bei Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, der dies ja kürzlich auch öffentlich diskutiert hat. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Gretas Appell sich in erster Linie an die Staatoberhäupter, die Regierungen, die Politik gewandt hat. An die Atomkraftwerker, die Chlorchemiker, die Erdölbohrer, die Waffenhersteller, die maßlosen Klimavernichter. Und natürlich an das Weltgewissen, dessen kollektiver Bestandteil wir nun einmal alle sind. Jedes Individuum für sich selbst.
Globale Aufmerksamkeit durch Provokation
Greta ist Modellcharakter und notwendige Provokation für eine globale Aufmerksamkeit. Wenn sie 100 Prozent fordert, ist sie sicher glücklich, wenn wir in willigen Schritten davon erst einmal 50 – 60 Prozent strukturiert und engagiert angehen. Den Bürgerinnen und Bürgern sollte die Politik nun erste positive und ernstzunehmende Ansätze über das Klimapaket liefern. Zum Beispiel einen kostenfreien oder extrem günstigen öffentlichen Nahverkehr. Wenn das dicke Auto mit einer CO2-Steuer teurer wird, wird dies besser verstanden und akzeptiert, wenn im Gegenzug das Auto stehenbleiben kann oder sogar überflüssig wird, wenn der Weg zur Arbeit oder an andere Ziele plötzlich mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln möglich, erreichbar und bezahlbar wird. Hier ist die Politik gefragt, schnell zu liefern, Anreize zu bieten, die die soziale Akzeptanz fördern. Es kann nicht funktionieren, unser bisheriges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem abzuschaffen. Greta Thunberg hat recht mit ihrem Eintreten für ein umweltbewussteres Handeln aller. Aber Grundvoraussetzung dafür ist ein planvolles Vorgehen, das natürlich nicht zu verwechseln ist mit Nichtstun. Es ist nicht richtig, jetzt planlos in Panik zu verfallen. Greta forderte schon öfter: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Damit überfordern Greta und einige ihrer Anhänger viele Menschen. Und genau an diesem Punkt müssen wir miteinander und aufeinander aufpassen, dass die guten Impulse nicht durch Überforderung und Missverständnisse kaputtgehen. Ökoworld steht zu Fridays for Future. Aber wir sind auch Realisten. Am 20. September 2019 fand der dritte globale Klimastreik statt – weltweit gingen Menschen auf die Straße, um für die Einhaltung des Paris-Abkommens und gegen die anhaltende Klimazerstörung laut zu werden. Seit 1995 tritt ÖKOWORLD für den Klimaschutz und für die Ökologisierung der Wirtschaft ein. Damals wurde die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld gegründet, die wiederum auf die nachhaltige Vermögensberatung versiko, gegründet im Jahr 1975 in Hilden, zurückgeht. Bereits im Jahr 1996 wurde der erste klimaschützende Investmentfonds Ökoworld Ökovision Classic aufgelegt. Die sinnvolle politische Botschaft der Fridays-for-Future-Demos ist der Ruf danach, die Klimaerwärmung zu stoppen. Der freie Zusammenschluss Parents for Future ist eine wirkungsvolle Initiative, die jungen Menschen in ihren Forderungen nach einer konsequenten Klima- und Umweltschutzpolitik zu unterstützen. Und auch viele Großeltern sind dabei. Ich bin sehr froh, dass es diese Bewegung, die konstruktiv Veränderung fordert, endlich wieder gibt. Wir waren als Ökoworld natürlich am 20. September dabei, haben unser Unternehmen um 11 Uhr geschlossen, um die nächste größere Klimastreik-Demonstration zu besuchen. Für uns ist der Klimastreik ein Stück weit auch aufstehen und Revolution mit einer Brise Rock ‘n‘ Roll. Wir gehen als ursprüngliche 68er, Vordenker und Klimaschützer auf die Straße, um mit aufzustehen.
Bewusstseinswandel in der Geldanlage?
Dies leitet hervorragend über zum Thema Bewusstseinswandel in der Geldanlage. Das Thema Nachhaltigkeit, der Marketingbegriff Nachhaltigkeit, ist nicht nur in der Finanzindustrie geradezu omnipräsent. Welche Veränderungen sind in der Zukunft zu erwarten, sowohl was die regulatorische Seite betrifft als auch direkt die Beratung und den Vertrieb von Investmentfonds?
Wir bei ÖKOWORLD gehen schon seit 1995 auf die Straße – und das nicht nur freitags! Wir kommen ursprünglich nicht aus der Finanz- oder Bankenwelt, sondern aus der Sozialarbeit für den Menschen und aus der alternativen Bewegung. Was bringt die Nachhaltigkeits-Taxonomie der EU-Kommission? Am 18. Juni 2019 wurde von der Europäischen Kommission der Bericht zur Nachhaltigkeits-Taxonomie veröffentlicht. Seit Juli 2018 arbeitete eine Expertengruppe, bestehend aus 35 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und dem Finanzsektor, an diesem Bericht. Ziel des Klassifizierungssystems ist es, „weitere Anreize zu schaffen und Investitionen des privaten Sektors in eine nachhaltige Entwicklung zu lenken, indem sie die Anleger dafür sensibilisieren, in was sie investieren, und indem sie ihnen wichtige Instrumente an die Hand geben, um nachhaltig zu investieren“. Was bringen die Vorschläge? Der Bericht der EU-Kommission umfasst rund 400 Seiten. Die Experten fragen sich darin, wie Unternehmen über ihren ökologischen Fußabdruck berichten sollen. Das Projekt ist Teil des EU-Aktionsplans zur nachhaltigen Finanzwirtschaft. Die Idee ist, dass die Nachhaltigkeits-Taxonomie für rund 6.000 in der EU gelistete Unternehmen und Banken Vorgabe sein soll. Die Experten untersuchten Branchen wie Energie, Transport, Agrarwirtschaft, Industrie, Kommunikation und Immobilien. So wollen sie zu einer branchenübergreifenden Definition von Nachhaltigkeit gelangen. Nach meiner Einschätzung wird hier, um dieses Ziel zu erreichen, versucht, eine Art „Interims-Alibi“ zu schaffen. Die Frage ist doch, ob wir hier „regulatorische Nachhaltigkeitskosmetik“ in der Finanzwelt betreiben wollen, oder wirklich mutig und konsequent und nachprüfbar etwas dauerhaft verändern. Die aktuellen gesellschaftlichen Klimadiskussionen, auch Fridays for Future, werden wahrscheinlich dazu führen, dass vielleicht 30 – 50 Prozent der Privatanleger sich für eine Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei ihrer Geldanlage interessieren. Das wiederum würde dazu führen, dass die Fondsanbieter im Grunde alle ihre Produkte mit einem mehr oder weniger starken Schuss Nachhaltigkeit versehen müssten. Und genau das riecht nach Windowdressing und Unglaubwürdigkeit, weil dem Ganzen die Seele und die Überzeugung fehlt. Das ist Marketing und Greenwashing.
Ist ein Nachhaltigkeitsrating die Lösung?
Gerne führe ich meine Bedenken weiter aus. Nehmen wir als Beispiel das Morningstar Nachhaltigkeitsrating. Um eine möglichst umfassende Aussage über die Nachhaltigkeit eines Fonds treffen zu können, braucht Morningstar natürlich Daten von allen Zielunternehmen im Fonds. Morningstar greift hierzu auf die Unternehmensdaten zu, die von Sustainalytics zur Verfügung gestellt werden. Sustainalytics ist ein Unternehmen, das die Nachhaltigkeit von börsennotierten Unternehmen anhand ihrer Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Leistung bewertet. Sustainalytics bietet allerdings nicht Daten zu allen Unternehmen an. Wie hoch diese Datendichte ist, gibt Morningstar an. Eine geringere Datendichte führt zu Abwertungen. Eine Dichte von unter 50 Prozent führt zu keiner Bewertung durch Morningstar. Nachhaltige Fonds, die als Trendscout und Stockpicker einen größeren Anteil von Sustainalytics nicht bewerteter und unbekannter Unternehmen im Fonds haben, erhalten so automatisch eine schlechtere Bewertung. Die Nachhaltigkeitsanalyse von Sustainalytics hat meiner Ansicht nach ihre größte Schwäche im Analyseprozess selbst. Sustainalytics untersucht anhand der Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen jedes Unternehmen anhand der ESG-Kriterien im Vergleich zur Branche und zum Markt. Dabei führen oftmals schon Maßnahmen zur Verbesserung zu guten Bewertungen. Das ist natürlich auch wichtig, allerdings darf die Frage nach dem Aussagegehalt dieser relativen Betrachtungsweise und der Ergebnisse gestellt werden. Hinzu kommt: Große Unternehmen, die einen Stab von Mitarbeitern beschäftigen, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, haben natürlich auch das Ziel, eigene Maßnahmen bestens darzustellen. Kleinere Unternehmen haben hierzu nicht immer die nötigen Mittel. Wir arbeiten bei Ökoworld eher mit einer absoluten Betrachtung. Unternehmen, die z. B. für den Ökovision Classic vollkommen undenkbar sind, wie die Autohersteller BMW, Volkswagen, Daimler und MAN, Top-Umweltverschmutzer und Umweltvernichter wie RWE und Eon und so weiter erhalten bei einer relativen Betrachtung gute Noten durch Sustainalytics und hohe Bewertungen bei Morningstar. Ich kenne eine Nachhaltigkeitsanalyse von Sustainalytics zu den 30 DAX-Unternehmen, die größtenteils in Sachen Nachhaltigkeit hervorragend wegkommen. Viele dieser Unternehmen sind genau auf Grund ihrer Produkte oder Unternehmensart bei Ökoworld ausgeschlossen. Nach Sustainalytics könnte man einen Top-Nachhaltigkeitsfonds mit genau den von uns ausgeschlossenen Titeln bauen. Ist das nicht verrückt und wahnsinnig? Und diese Werte sind bei uns aus gutem Grund ausgeschlossen.
Wir setzen auf die Gewinner der Zukunft
Wir bei Ökoworld suchen in erster Linie nach Unternehmen, die entweder neue Produkte oder neue, fortschrittliche Produktionsweisen entwickeln. Unser Fokus beginnt bereits viel früher als die Analyse von Sustainalytics. Wir suchen nach Unternehmen, die neue Produkte zur Lösung der Herausforderungen der Zeit entwickeln. Denn wir wollen auf die Gewinner der Zukunft setzen. Im Klartext: Eine erste oberflächliche ESG-Integration ist im Markt inzwischen gut etabliert. Aber in welcher erstzunehmenden Ausprägung? Die neuen Vorstellungen des EU-Gesetzgebers sind mit Sicherheit auch nicht trivial. Aber für eine fundierte Umsetzung braucht es vor allem verlässliche und vergleichbare Informationen. Stand heute stellen die meisten Unternehmen aber solche Daten nicht zur Verfügung. Wenn der EU-Gesetzgeber also fordert, dass die Kapitalverwaltungsgesellschaften in Zukunft glaubwürdig und konsequent Ethik, Ökologie und soziale Aspekte berücksichtigen, so ist dies aus heutiger Sicht völlig unmöglich.
Von daher ist meine Erwartungshaltung eher kritisch, pessimistisch und moderat. Generell ist es natürlich gut, dass die Diskussionen lauter werden, wie man das Thema in der Finanzindustrie verankern kann, ohne nur an der Oberfläche zu kratzen und in der Tiefe das Unheil weiter wuchern zu lassen. Als Realist ist mir aber natürlich auch klar, dass es aktuell unmöglich wäre, die vielen Milliarden, die querbeet investiert sind in der Landschaft der Fonds, nach solchen strengen Kriterien anzulegen, wie sie bei Ökoworld gelten. Das ist Wohl und Wehe. Wohl für uns, die diesen Ansatz seit über 20 Jahren nachprüfbar fahren. Wehe für die, die sich jetzt mit diesem Thema beschäftigen müssen. Es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß.