Keine Fata Morgana: Grün-blaue Oasen in der urbanen Betonwüste Das Prinzip der Schwamm-Stadt

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Jeden Tag werden in Deutschland etwa 65 Hektar Land zu Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt. Das Umweltbundesamt schätzt, dass davon die Hälfte versiegelt wird. Das sind pro Tag 35 Hektar oder 50 Fußballfelder, rund 1.100 Hektar pro Monat und 13.000 Hektar pro Jahr – was ungefähr der Größe von Ingolstadt oder Krefeld entspricht. Versiegelte Flächen bringen die natürliche Wasserbilanz aus dem Gleichgewicht: Zu wenig Regenwasser versickert vor Ort, fließt stattdessen oberflächig ab und wird durch die Kanalisation aus der Stadt zur Kläranlage geführt. Bei zu hoher Auslastung wird es auch ohne Klärung direkt in Gewässer eingeleitet. Die Reinigung als auch die Auslegungsgröße des Rohrnetzes der zentralen Regenwasserbewirtschaftung sind mit hohen Investitions- und Betriebskosten verbunden. Die Reduktion der abzuführenden Wassermassen ist somit nicht nur ein ökologischer sondern auch ein wirtschaftlicher Aspekt.

Schwamm statt Versiegelung

Abhilfe bietet das Schwamm-Prinzip. Niederschläge werden strategisch in der Stadt gespeichert, was nicht nur dem Überschwemmungsschutz, sowie der Hitze- und Dürrevorsorge dient, sondern auch das Stadtklima verbessert. Eine wichtige Maßnahme des Prinzips ist die Entkopplung der Entwässerung von der Kanalisation. Die Umsetzung erfolgt durch den Schutz von bestehenden Versickerungsflächen vor Bebauung und die zumindest teilweise Rück- oder Umwandlung von versiegelter Fläche. Zum Beispiel in Grünflächen, die naturnahe Versickerung ermöglichen. Anlagen und Systeme können hierbei offen oder geschlossen gestaltet werden und Regenwasserabfluss von umliegenden Flächen dort hingeleitet werden. Der gewünschte Effekt ist, dass Bodenfeuchte, auch in tiefere Schichten, verstärkt wird und das Grundwasser vor Ort neugebildet wird. Wo es möglich ist, können Mulden, Senken oder Tiefbeete angelegt werden, oft in und mit Parkanlagen kombinierbar.

Platzsparend – Mulden-Rigolen Systeme eignen sich besonders für den urbanen Raum (wie hier für Berlin). Auch die Reinigung von Schmutzstoffen und Mikroplastikpartikeln (stoffliche Belastung von Oberflächengewässern) bei naturnaher Versickerung sollte mitgedacht werden.

Quelle: Berliner Wasserbetriebe

In dicht besiedelten Stadt-Gebieten, wo keine Entsiegelung realisierbar ist, kann die Aufnahme-Kapazität kleinster Flächen mit Hilfe von Schacht- und Rohrrigolen-Systemen gesteigert werden. So nehmen diese Flächen weit mehr als einfache Versickerungsanlagen auf, indem sie das Wasser direkt in tiefere Schichten weiterleiten. Bepflanzte Versickerungsanlagen sind nicht nur funktional, sondern sorgen zudem mit Schatten und Kühlung für eine bessere Lebensqualität. Als bunt-blühende Verkehrsinseln oder kleine Parks und Grünflächen erweisen sie sich auch für die Tier- und Pflanzenwelt als nützlich, denn Pflanzen können so längerfristig ihren Wasser-Bedarf decken.

Zukunftsmusik – Wie Stadtplaner den Ton angeben

Stadtplaner weltweit arbeiten daran, die „wassersensible Stadt von morgen“ mit integrativen städtebaulichen Ansätzen (Bebauungsplanung trifft Wasserwirtschaft) zu entwickeln und umzusetzen. Denn die „Stadt von heute“ ist den Klimawandel-bedingten Herausforderungen mit Starkregenereignissen, Überschwemmungen und länger anhaltenden Trocken- und Hitzeperioden nicht gewachsen. Ein Vorsorge-Management für Klimaschutz und mehr Resilienz hilft den urbanen Wasserhaushalt zu harmonisieren.

Das Förderprogramm „1000 grüne Dächer“ in Berlin ist nicht die einzige Maßnahme um die Stadt wassersensibler und klimaangepasster zu machen. Die neu geschaffene Regenwasseragentur wird die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung aktiv umsetzen. Rostock visiert bis 2080 an, 100 % des Regenwassers zu bewirtschaften, auch um Überschwemmungen, wie die vom Sommer 2011 zu vermeiden. Auf Hamburgs erstem Regenwasserspielplatz lernt man spielerisch, dass man sich auf einem Gebiet für Sickerbecken samt Regenwassermulde, mit im Boden eingelassenen Rigolen, befindet. Dies dient dem Schutz vor Überflutungen und der Neubildung des Grundwassers. Mit Klimainseln und begrünten Dächern wird in der Offensive „Wasser in der Stadt von morgen“ der Emscher-Kommunen, darunter Dortmund und Essen, das Schwamm-Prinzip angewandt. Bereits 2005 haben die Städte sich in einer Zukunftsvereinbarung das Ziel gesetzt 15% weniger Regenwasser in die Kanalisation zu leiten. Eigens dafür bestellte Stadtkoordinatoren unterstützen dabei, die entwickelte Arbeitshilfe für Wassersensibilität in ihren Bebauungsplänen umzusetzen.

China, die Wiege des Schwamm-Prinzips, hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt bis 2030 mindestens 70% des Oberflächenabflusses in der Stadt zu speichern. Und das für 80% aller chinesischen Städte.

Vorgarten-Vorsorge – Was ich selbst tun kann

Statt sich für den nächsten Jahrhundertsommer mit einer Klimaanlage zu wappnen, und dadurch die eigene CO2-Bilanz zu verschlechtern, kann man auch das Kleinklima vor der eigenen Haus- oder Firmentür aufbessern. Hier bieten sich bepflanzte Gärten als auch Rasengittersteine, statt Pflastersteine auf Parkplätzen und Auffahrten, an. Viele Städte und Kommunen bieten bereits finanzielle Förderprogramme und Beratung zur Begrünung von Dächern, Fassaden und Höfen an. Einfach mal auf der Webseite der Stadt nachschauen. Zur Bewässerung der Vorgärten und Grünanlagen – falls diese gerade kein Regenwasser mehr gespeichert haben – eignen sich Regenwassersammeltanks, die im Fallrohr zwischengeschaltet werden. Doppelt lohnt es sich, für Klima und Geldbeutel, Regenwasser vom Dach und versiegelten Flächen mit Hilfe der richtigen Technik und in ansprechendem Design im Garten oder auf Grünflächen versickern zu lassen und Niederschlagswassergebühren zu sparen.

Und womöglich zieht solch eine grün-blaue Oase nicht nur Bienen, sondern auch weitere Nachahmer an.

Ein Beitrag von Vera Klöttschen – Referentin Wasser bei der Ökoworld AG