Ich kann mich noch sehr gut erinnern an Gespräche mit Freunden und Fachkollegen: Ende letzten Jahres waren viele Menschen überrascht und voller Hoffnung, weil auf EU-Ebene im Trilog-Verfahren letztlich ein guter und konkreter Vorschlag für eine EU-Lieferkettenrichtlinie ausgehandelt werden konnte. Die Neuregelung würde Menschenrechte in globalen Wertschöpfungsketten für hunderttausende Menschen konkret einfordern, sei es bei Arbeitsbedingungen oder fairen Löhnen. Zudem würde sie unsere ökologischen Lebensgrundlagen besser schützen.
Die finalen Abstimmungen in Brüssel schienen Formsache. Nun allerdings droht das Vorhaben an der FDP zu scheitern. Wenn Deutschland sich in der finalen Abstimmung im Rat enthält, fehlt diese wichtige Stimme für eine qualifizierte Mehrheit und wirkt wie ein „Nein“. Schwerer wiegt, dass derzeit niemand die Abstimmung einschätzen kann, denn die meisten Länder haben sich noch nicht zum geplanten Abstimmungsverhalten geäußert. Die Richtlinie könnte also tatsächlich scheitern. Es laufen nun die informellen Lobbygespräche in Brüssel auf Hochtouren – die FDP möchte weitere europäische Länder von einem faktischen Nein überzeugen.
Mich macht solch ein Wirtschaftsverständnis wieder einmal fassungslos. Die deutsche Wirtschaft soll wachsen, egal ob Menschen in Zwangsarbeit ausgebeutet werden, egal ob Kinder schuften müssen statt in die Schule zu gehen, egal ob Unfälle und Gesundheitsgefahren billigend in Kauf genommen werden oder ob wir die ökologischen Lebensgrundlagen von uns allen zerstören. Wenn die Herren Minister Dr. Buschmann und Lindner wirklich für saubere Lieferketten und Umweltschutz und damit hinter den Zielen der Richtlinie stehen, so wie sie es verlautbaren, dann sollen sie jetzt auch handeln, denn der Entwurf erreicht viel und ist für die deutsche Wirtschaft umsetzbar.
Ja, der Richtlinienentwurf geht in einigen Punkten weiter als das bereits seit Anfang letzten Jahres in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz. Und das ist auch notwendig. Deutschland hat im Übrigen bereits in den bisherigen Verhandlungen auf EU-Ebene große Zugeständnisse erhalten, zum Beispiel bei den gelockerten Haftungsregelungen, die beispielsweise im französischen Sorgfaltspflichtengesetz weiter gehen. Auch hat Hubertus Heil nach dem FDP-Rückzieher unverzüglich konkrete Erleichterungen für die deutsche Umsetzung angekündigt. Sowieso haben sich viele zukunftsfähige Unternehmen bereits positiv zur Richtlinie positioniert. Sie drängen auf eine europäische Rechtssicherheit und auf ein faires Spielfeld für alle. Erleichterungen für kleinere und mittlere Unternehmen sind ohnehin in ganz Europa vorgesehen. Nicht vergessen werden darf aus meiner Sicht, dass Erleichterungen auch für weitere Akteure wie etwa Kleinbauern aufgenommen werden müssen, welche die Berichts-Anforderungen nicht erfüllen könnten.
Wir als ÖKOWORLD suchen unentwegt nachhaltige Unternehmen, in die wir investieren können. Oft müssen wir unsere Nachhaltigkeitsbewertungen abbrechen, weil wir zu wenig nachhaltigkeitsbezogene Informationen über globale Wertschöpfungs- und insbesondere Lieferketten bekommen. Marktwirtschaft braucht Transparenz, damit die Akteure ihre Entscheidungen nach ihren Präferenzen überhaupt erst treffen können – eine Voraussetzung für funktionierende Märkte. Wir alle brauchen die EU-Lieferkettenrichtlinie!
Mathias Pianowski
Head of Sustainability Research bei der ÖKOWORLD