Praxis, Forschung und Lehre stärker verzahnen: Wie arbeiten Investoren mit Nachhaltigkeitsberichten und welchen Standards kann man vertrauen?

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Prof. Dr. Christian Herzig ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebslehre der Ernährungswirtschaft und des Agribusiness an der Universität Gießen. Mathias Pianowski, Leiter des Bereiches Sustainability Research beim Hildener Assetmanager ÖKOWORLD, übernahm im Rahmen des geplanten Curriculums eine Vorlesung zu aktuellen Entwicklungen in der Unternehmensberichterstattung.

Prof. Dr. Christian Herzig und Mathias Pianowski


Herr Pianowski, was ist ihre Motivation, an der Uni Gießen vorzutragen?

Professor Herzig und ich arbeiten seit fast zwanzig Jahren zusammen. Wir haben uns über den gemeinsamen Lehrbuchbeitrag „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ kennengelernt, den wir auch heute noch in der mittlerweile vierten Auflage verfassen. Er erscheint regelmäßig in dem sehr gut angenommenen Lehrbuch „Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“, das mittlerweile ein Standardwerk für die universitäre Lehre ist. In meiner täglichen Arbeit lese ich seit vielen Jahren Nachhaltigkeitsberichte, analysiere sie und verfolge die Standardsetzung sehr intensiv. Da liegt es einfach nahe, hier vorzutragen und den Studierenden kritisch aus der Praxis zu berichten, sich ihren Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Ich empfinde das als sehr wertvoll für beide Seiten. Die Herausforderungen im Nachhaltigkeitsbereich sind enorm – wir brauchen hier eine enge Verzahnung von Forschung, Lehre und Praxis.

Herr Professor Herzig, welche Relevanz haben Nachhaltigkeitsberichte aus Sicht der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure wie Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft?

Für Unternehmen sind Nachhaltigkeitsberichte über viele Jahrzehnte zu einem unabkömmlichen Instrument der sozialen und ökologischen Rechenschaftslegung geworden. Sie dienen ihnen als Zugang zum Finanzmarkt, der zum Beispiel vermehrt im Social Responsible Investment-Bereich Informationen nachfragt. Umgekehrt haben Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf, ausreichend über die Wirkungen unternehmerischen Handelns informiert zu werden. Dazu braucht es umfassende Berichtsstandards und -kontrollen. Aktuell sind wir mit unserem Lehrstuhl zum Beispiel am Nachhaltigkeitsmonitoring des Lebensmitteleinzelhandels beteiligt, welches das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben hat. Hierbei stellen Nachhaltigkeitsbericht eine, wenngleich nicht die einzige Datenquelle dar.


Herr Pianowski, welche Trends oder Entwicklungen in der NB sind aus ihrer Sicht bedeutsam?

Es gibt sehr bedeutsame Entwicklungen zurzeit und ich denke, die Dynamik ist hoch wie nie. Etwa bei der europäischen Standardsetzung, über die sich viele Unternehmen derzeit den Kopf zerbrechen. Wer genug Erfahrung hat, um die Dinge richtig einzuordnen, sieht allerdings, dass die Berichterstattung von Unternehmen die Nachhaltigkeitsleistung nicht abbilden muss, um die Standards zu erfüllen. Der bekannteste Standardsetter Global Reporting Initiative macht eine Rolle rückwärts nach der anderen und nach den internationalen Standards der IFRS Foundation – wenn man so will der Wirtschaftsprüfer – braucht man im Rahmen einer angeblichen Nachhaltigkeitsberichterstattung gar nicht erst über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft zu berichten.

Herr Professor Herzig, Sie arbeiten derzeit an einer neuen Version des Lehrbuchs „Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“. Wann erscheint es und was wollen Sie den Studierenden im neuen Lehrbuch mitgeben?

Unser Beitrag im Lehrbuch „Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“ erscheint voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres. Ich schätze den kritischen Geist von Herrn Pianowski sehr und teile die Kritikpunkte. Wir versuchen die Dinge aber auch immer positiv zu sehen. Wie Mathias schon sagt, kommt es letztlich auch auf die Unternehmen an. Es gibt erhebliche Fortschritte in der Nachhaltigkeitsberichterstattung und auch wir helfen auf diesem Weg mit durch unsere Forschung und Ausbildung junger Menschen. Mit unserem Lehrbuchbeitrag wollen wir die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen befähigen und ermutigen, den Stakeholdern genau die nachhaltigkeitsbezogenen Informationen bereitzustellen, die sie für ihre Zwecke brauchen. Damit können dann besser fundierte Entscheidungen im Sinne der Umwelt und der Menschen getroffen werden.